Freitag, 15. September 2006

Die Gedanken danach.

Dem Filmstart von "Das Parfum" wurde kritisch entgegengesehen. Kaum vorstellbar, dass ein solch bewegender Roman von einem Autor, der es schafft, die Leser mit Worten in die Welt der Gerüche zu entführen und Wohlgefallen und Ekel so greifbar zu vermitteln, auch nur ansatzweise zufriedenstellend filmisch umgesetzt werden kann.

Doch man kann. Bernd Eichinger kann und Tom Tykwer kann. Und noch mehr kann Ben Wishaw, dessen schauspielerisches Talent mehr als beeindruckend ist.
Selbstverständlich hat der Film Schwächen, doch was auf dem Heimweg nachklingt ist uneingeschränkte Begeisterung. Der Film hat so sehr bewegt, dass das folgende Gespräch über die Filmbesprechung hinausgeht und geradezu philosophisch wird.

Über viele Gedankensprünge und Themenwechsel folgt zu später Stunde einmal mehr die Feststellung: Der Mensch ist ein kleines Rädchen. Ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe der Gesellschaft, das vielleicht nicht immer Lust hat, sich im Uhrzeigersinn zu drehen, aber weiß, dass es keinen Zweck hat, sich in die entgegengesetzte Richtung zu stemmen.

Dieser Idealismus aus meiner Kindheit... Die feste Überzeugung, dass - wenn nur jeder einen kleinen Teil beiträgt - das Gesicht der Welt verändert werden kann. Der Anblick eines Obdachlosen auf der Straße oder einer einsamen alten Frau auf der Parkbank konnte mir die Tränen in die Augen treiben und mich tagelang verfolgen. Und selbstverständlich war ich überzeugt, nur einen Beruf auszuüben, mit dem man den Gang der Dinge positiv beeinflussen kann - wenn auch nur im Detail.

Heute gehe ich an einem alten buckligen Mann vorbei, der mit ärmlicher Kleidung einsam an einem Restaurant-Tisch sitzt inmitten des jungen Treibens an der "Münchner Freiheit" und mit eingezogenem Kopf all seine Konzentration der Frikadelle auf seinem Teller widmet. Ich könnte auf der Stelle vor Mitleid in Tränen ausbrechen. Aber das geht nicht. Dieser Mann hat sein Leben, ich habe mein Leben. Ich gehe um die nächsten zwei Ecken und habe den alten Mann vergessen. Weil es unangenehm ist, über ihn nachzudenken. Über ihn und darüber, welche Rolle wir eigentlich spielen, welche Funktion jedes einzelne kleine Rädchen hat, das in dem großen Getriebe mehr oder weniger eifrig mitläuft.

Man wächst auf mit Werte- und Moralvorstellungen in dem Glauben, die Welt sei wunderbar. Man wächst heran und beginnt zu begreifen, dass der Schein trügt. Dass die Menschen dank all dem unschätzbaren Wissen, das über Jahrhunderte angehäuft wurde, zwar begreifen, dass sie sich zu Grunde richten. Dass ihre Art zu leben nicht die richtige - oder sagen wir perfekte - ist und dass sie auf dem besten Wege sind, sich einzureihen in eine der vielen großen Kulturen, die am Ende sich selbst zerstörten.

Der (reflektierte) Mensch weiß all das und ergreift einen Beruf, der im Idealfall etwas Freude bringt, mindestens aber das monatliche Einkommen sichert, er erfüllt sein Leben mit Dingen, die keine Nachhaltigkeit besitzen und fragt sich, worin eigentlich der Sinn besteht. Es muss doch in einer solch fortschrittlichen Kultur um mehr gehen, als ums nackte Überleben, als um fressen und gefressen werden.
Und dann setzt er Kinder in die Welt, erzieht sie mit den noch übrig gebliebenen Werte- und Moralvorstellungen und hofft, dass sie es einmal besser machen mögen.

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Jo Pütz - 15. Sep, 16:52

Nachdenklich ...

stimmen mich jetzt diese, Deine Gedanken. Den Streifen wollte ich mir eigentlich auch schon gestern angeschaut haben. Aber da ich bisher nur den ersten Teil des Buches gelesen habe und somit noch über 150 Seiten ausstehen ...,

werde ich wohl noch ein Weilchen warten (müssen). :(
Daß der Film trotz oder gerade wegen des Buches zu halten scheint, was er verspricht, läßt die Vorfreude ins unermeßliche Steigern ;) Sobald die Loipi-Hausarbeit vollendet ist, schau ich ihn mir an. :-)
Interview mit Tom Tykwer und diese Rezension aus der taz fliegen aber schon auf meinem Schreibtisch rum.

Du reißt mit sehr wahren und treffenden Worten ein großes Thema an, den Sinn des Lebens. Gerade in diesen Tagen fühle ich mich auch in meinem Alltag wie ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe der Gesellschaft, das vielleicht nicht immer Lust hat, sich im Uhrzeigersinn zu drehen, aber weiß, dass es keinen Zweck hat, sich in die entgegengesetzte Richtung zu stemmen.

Da ist und bleibt der Wunsch im kleinen was bewegen und ändern zu wollen. Und wenn alle sich zusammentuen, ginge es sehr wohl im großen. Aber die Bereitschaft sich zu ändern - zumindest sich und die gesellschaftlichen Gegebenheiten ernsthaft ändern zu wollen -, ist leider nicht bei allen in einem so hohen Maße ausgeprägt wie es für eine bahnbrechende Veränderung der Gesellschaft vonnöten ist. Letzteres als wertfreie Feststellung.

Denn es gibt und gab sie ja die Idealisten, die nicht alles, aber vieles ändern wollten. Aber auch ein Che Guevara mußte erkennen, daß er kein Volk zu lauter selbstbestimmten, kritisch reflektierenden Menschen mit solidarischem Bewußtsein erziehen kann. Dennoch haben er und viele andere seiner Zeit einiges bewegt. Wenn dies auch nicht wenige heutzutage allzugerne gebetsmühlenartig leugnen.

Man wächst auf mit Werte- und Moralvorstellungen in dem Glauben, die Welt sei wunderbar. Man wächst heran und beginnt zu begreifen, dass der Schein trügt. Dass die Menschen dank all dem unschätzbaren Wissen, das über Jahrhunderte angehäuft wurde, zwar begreifen, dass sie sich zu Grunde richten. Dass ihre Art zu leben nicht die richtige - oder sagen wir perfekte - ist und dass sie auf dem besten Wege sind, sich einzureihen in eine der vielen großen Kulturen, die am Ende sich selbst zerstörten.

Der (reflektierte) Mensch weiß all das und ergreift einen Beruf, der im Idealfall etwas Freude bringt, mindestens aber das monatliche Einkommen sichert, er erfüllt sein Leben mit Dingen, die keine Nachhaltigkeit besitzen und fragt sich, worin eigentlich der Sinn besteht. Es muss doch in einer solch fortschrittlichen Kultur um mehr gehen, als ums nackte Überleben, als um fressen und gefressen werden.
Und dann setzt er Kinder in die Welt, erzieht sie mit den noch übrig gebliebenen Werte- und Moralvorstellungen und hofft, dass sie es einmal besser machen mögen.


Der dieser Tage verstorbende Joachim Fest, den ich als intellektuellen Gegner wegen seines scharfen Verstandes und seiner brillanten Eloquenz bewundert habe, hat einmal über die 68er Generation abschätzig pamphletiert: "Den Muff von 1.000 Jahren hatten die 68er in ihren Jeans". Dieser Satz ist für mich einer der Schlüssel zu den resignierenden Bildungsbürgern unserer Zeit.

Natürlich gibt es keine perfekte Art zu leben. Nur wird es uns heutzutage auch nicht gerade einfach gemacht, den eigenen Weg und hierbei den Sinn im Leben zu erkennen (ich bin immer noch davon überzeugt, diesen eines Tages zu finden - ansonsten wäre diese Veranstaltung, die wir gemeinhin Leben nennen, ein Hamsterrad der Trostlosigkeit und Einöde - Sinn, der sich aus dem eigenen, kleinen Leben jenseits großer massenbewegender Events ergibt).

EDIT:

Oder wie juli es im neuen song DIESES LEBEN genial verdichtet:
Nimm mir die Kraft
nimm mir das Herz
nimm mir alle Hoffnung
und all den Schmerz
aus meiner Hand
und gib sie nicht mehr her
was soll das sein
wo soll ich hin
wo sind meine großen Helden hin
auch wenn wir gehn
weiß ich nicht wohin



So bleibe ich bei meinen Idealen, Vorstellungen und Visionen. Auch wenn ich zugegebenermaßen nicht selten dafür belächelt werde (von denjenigen, die angeblich einmal selbst Ideale verfolgt haben). Mit Aussagen wie: "Wer hier so ein bißchen Revolution machen möchte, mir haben da 'nen Etat für". Da muß ich mich doch fragen, wie krank ist das denn ? Aber einen ernstgemeinten Wunsch habe ich doch noch auf dem Herzen.

Gerichtet an die reflektierenden Sarkasten, brillanten Intellektuellen und einflußreichen Meinungsmacher in unserer Gesellschaft: nehmt Menschen mit Visionen, die (noch) nicht den Glauben an ihre Ideale verloren haben ernst. Behaltet den gutgemeinten Ratschlag, sie sollten lieber einen Arzt konsultieren, für Euch und behandelt sie idealiter als wahrhaftige Diskussionspartner und Persönlichkeiten mit dem gebotenen Respekt, den sie auch Euch entgegenbringen. Denn solche oder jegliche andere wie auch immer gelagerte Polemik, wie sie einem gelegentlich unvorbereitet entgegenschlägt, ist, analog des Zynismus, keine Geisteshaltung, sondern eine negative Charaktereigenschaft.

Thomas (Gast) - 18. Sep, 19:41

Resignierend

Mit all den Dingen, die man im Leben so erlebt, deren ich bereits viele mir antun und antun lassen musste, formen sich Bilder, Vorsätze, Vorgaben, et cetera. Mich deprimiert, mit welcher Leichtigkeit du es hinbekommst, das alles zu demontieren. Nicht, weil du gemein bist, hinterhältig oder unfair, sondern einfach, weil ich merke, wie oberflächlich ich gemeinhin arbeite.

Ich habe allerdings nicht das Bedürfnis, alles neu zu überdenken. Es hat viel Kraft und Zeit gekostet, dahin zu kommen, wo ich jetzt bin, und ich fühle mich wirklich wohl hier. Ich habe einen Sinn gefunden, einen wundervoll funktionierenden, der mich jederzeit aufrecht erhält und mir immer wieder klar machen kann, in welche Richtung ich mich denn bewege, und ob ich das für mich so sinnvoll finde.

Natürlich ist unter dem, was ich "Sinn" nenne, noch viel, viel verborgen, das ich nicht antaste, das vielleicht sogar verkommt und alles noch schlechter macht, aber ich bin überzeugt, dass ich alles tue, das ich tun kann.
Genau das selbe werde ich bereitwillig vielen, vielen anderen Menschen nachsagen. Warum? Weil ich nicht bereit bin zu glauben, dass die Spezies Mensch sich selbst zur Hölle jagen wird, wenn sie gleichzeitig reflektiert ist und um ihren Kurs bescheid weiß. Wir sind besser als das. Und warum sind wir besser als das? Weil es Leute wie dich gibt, die aussprechen, was ausgesprochen werden muss, und Leute wie mich, in denen es Gedanken provoziert. Und schon ist die Welt ein besserer Ort. Vielleicht nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, aber für mich hast du einen Unterschied gemacht, für eine Veränderung zum besseren. So schlimm kann es gar nicht werden.

AkzoNoble - 21. Sep, 23:11

Ich muss gestehen...

..äusserst kluge Gedanken von anscheinend nicht allzu dummen Menschen. Ich stimme euch in allem zu was ihr dazu sagt, es wäre müßig noch etwas hinzuzufügen, die Diskussion über den Sinn des Lebens würde wohl diesen Rahmen sprengen.
Doch wieso überhaupt immer diese Metaphysik? Der Mensch hat die Gabe des Verstandes mitbekommenn sei er gottgegeben, oder einfach nur eine Laune der Natur, ist unser Glück im Leben davon abhängig? Sind Werte und Normen im Prinzip nicht auch nur Strukturen des einzelnen Gehirns?
Nehmen wir das Leben doch mal als das, was es(meiner Meinung nach) wirklich ist: Die Interaktion von Individuen, sei es Mensch oder Tier, oder sonst irgendetwas...
Eben so wie du es nennst: "Ein Fressen und gefressen werden". Ist das immer negativ behaftet?
Lebt der alte Mann, den du siehst nicht vielleicht in seiner eigenen Welt, die sich stark von deiner unterscheidet? Vielleicht ist er nur in deinen Augen so mitleiderregend.. vielleicht ist er im Geist schon bei seiner Frau und er ist voller Ruhe und Frieden. Und es wird ihn wenig kümmern, wenn du ihm etwas von Rädchen und Getriebe erzählen würdest. Denn im Prinzip sind wir schon rein organisch ein Teil des Ganzen. Ob du dich nun in die Eine, oder Andere Richtung drehst ist dem Kreislauf völllig egal, denn die Menschheit definiert sich immer durch ihre Individuen, so oder so, nennst du es kriegerisch oder friedlich, prinzipiell sind wir doch (um Max frisch ausnehmsweise mal wörtlich zu nehmen) nur ein Teil der "Organischen Masse".
Für mich bedeutet es also ersteinmal nur: Back to Basic, versteh ersteinmal was du bist und wo du herkommst, dann weißt du auch, wohin du gehst, sprich welche Rolle du im System(nicht im gesellschaftlichen) spielen wirst.
Das findet der Eine evtl frustrierend und identitätszerstörend, der Andere wiederum kreativ und stimulierend. Ich kann nur sagen: Back to the Roots, beschränkt euch einmal auf die einfachen Dinge des Lebens, die den Begriff und die Definition des Lebens überhaupt ausmachen(was das ist, sollte jeder für sich entscheiden), dann könnt ihr vielleicht auch irgendwann einen Sinn/System dahinter erkennen!
Ich hoffe das war nicht zu lang und unverständlich, der Alkohol tut seine Wirkung ;D die Rechtschreibfehler dienen der Belustigung auf meine Kosten! mfg Akzo

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