Freitag, 15. September 2006

Ups.

Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich mit diesem Beitrag völlig blamiere: Hier ein kleiner Erfahrungsbericht von diesem Nachmittag.

Wenn man schon in einer Millionenstadt an seiner Hausarbeit arbeitet und sowieso seit längerem entnervt ist von der süßen kleinen Medienwissenschafts-Abteilung in der Universitäts-Bibliothek Trier, dann liegt der Gedanke nahe, die Universitäts-Bibliothek der LMU in München aufzusuchen und sich dort mit passender Literatur einzudecken.

Der Münchner Online-Bibliotheks-Katalog funktioniert ähnlich dem der Trierer Bibliothek, in kurzer Zeit sind ein Duzend vielversprechender Titel gefunden.
Alle Titel und Signaturen akribisch auf einen Zettel notiert steige ich also nach einem Abstecher in die Innenstadt an der U-Bahn-Station aus und fahre mit der Rolltreppe rein in den strömenden Regen. Aber halb so schlimm, ich bin ja nicht aus Zucker und weit kanns nicht mehr sein. Dachte ich. Leider bin ich eine Station zu früh ausgestiegen und stiefele wie eine nasse Katze in das riesige Foyer der Bibliothek.

Ich suche vergeblich nach Hinweisschildern und steuere deshalb auf den einzigen Schalter zu, den ich entdecken kann und frage, wo ich die Magazinbestände finde. Der mürrische Mann ist aber nur der Pförtner und nicht sehr kommunikativ. Entschuldigung. Schnell weg.

Nachdem ich die Schließfächer gefunden und meine Sachen eingeschlossen habe, laufe ich auf der überdimensionalen Steintreppe gefühlte hunderttausend Stufen in den ersten Stock. Immernoch keine hilfreiche Beschilderung.

Ich finde den nächsten Schalter. Brav stelle ich mich an, bis alle Besucher vor mir dem Bediensteten ihre Unterlagen gezeigt haben und die Schranke passieren dürfen. Ich stelle erneut meine Frage nach den Magazinbeständen. Diesmal habe ich einen etwas freundlicheren Mann erwischt, der allerdings nichts anderes tut, als die ein- und ausgehenden Besucher zu kontrollieren. Verdammt.

Kleinlaut schleiche ich zu dem nächsten Tresen und traue mich kaum noch zu fragen. Aber hier bin ich richtig. Information. Jedoch nur eine kleine. Er könne mir nur eine vage Auskunft geben, macht nichts, besser als nix. Ah ja, ok, also durch die Tür durch und dann rechts fängts bei den 0001ern an. Danke vielmals.

Ich schlängele mich durch dicht beieinander stehende und von fleissigen Menschen besetzte Lesetische, jeder nobel mit Leselampe und Stromanschluss ausgestattet und suche. Und suche. Und suche. Und komme mir immer unfähiger vor. Irgendwann gebe ich mich geschlagen und wende mich an die nächste Informationsstelle.

Diesmal starte ich sofort mit der Entschuldigung, zum ersten Mal in dieser Bibliothek zu sein und mich nicht auszukennen. Der nette Herr sieht sich meine Notizen mit den Signaturen an, schaut hoch, grinst und sagt "Junge Frau, das sind die Signaturen der Universitätsbibliothek".
Ich grinse zurück und antworte selbstbewusst "Ich weiß". Er grinst noch breiter und erwidert "Die ist um die Ecke. Sie sind hier in der Bayrischen Staatsbibliothek".

Oh Erde, tu dich auf.

Peinlich. Aber sowas von. Der gute Mann erklärt mir dann stolz, als sei es seine eigene Erfindung, das System der bayrischen Bibliotheken und sagt, die Bücher die ich suche hätten sie da, ich könne sie jetzt ja dann gleich bei ihm bestellen, sie seien dann in drei Tagen da.
Ich traue mich ja kaum noch zu fragen, aber... bestellen? Ich denke sie sind vorrätig? Er grinst noch breiter und sagt triumphierend "Diese Bibliothek besitzt über 9 Millionen Bücher. Da sind sie noch in einer Woche mit der Suche beschäftigt".

Aha. Egal. Rückzug. Rückzug! Ich brauche diese Bücher nicht, ich brauche gerade nichts als ein Entkommen aus dieser Peinlichkeit. Ich nehme meinen letzten Rest Charme zusammen und lache "Nunja, ich studiere an der Universität in Trier, da ist das alles etwas... überschaubarer. Das sind ja hier dann doch andere Dimensionen...". Jetzt lacht der Herr auch, fast etwas zu laut für den ehrwürdigen Lesesaal. "Jaja, ich weiß. Meine Frau kommt aus Pallien. Das ist tatsächlich eine andere Dimension".

Dann drückt er mir meine Notizen zurück in die Hand und rät mir verständnisvoll und beinahe mitleidig, wenn ich zurück zuhause sei, die gewünschten Bücher doch einfach per Fernleihe von München nach Trier zu bestellen. Das würde eh kaum länger dauern, als die Ausleihe vor Ort in München.

Oh Welt, du Dorf. Oh Lisa, du Schaf.

In diesem Sinne verabschiede ich mich in eine Woche internetlosen Rest-Urlaub in München. Peinlicher kanns eh nicht mehr werden.

Die Gedanken danach.

Dem Filmstart von "Das Parfum" wurde kritisch entgegengesehen. Kaum vorstellbar, dass ein solch bewegender Roman von einem Autor, der es schafft, die Leser mit Worten in die Welt der Gerüche zu entführen und Wohlgefallen und Ekel so greifbar zu vermitteln, auch nur ansatzweise zufriedenstellend filmisch umgesetzt werden kann.

Doch man kann. Bernd Eichinger kann und Tom Tykwer kann. Und noch mehr kann Ben Wishaw, dessen schauspielerisches Talent mehr als beeindruckend ist.
Selbstverständlich hat der Film Schwächen, doch was auf dem Heimweg nachklingt ist uneingeschränkte Begeisterung. Der Film hat so sehr bewegt, dass das folgende Gespräch über die Filmbesprechung hinausgeht und geradezu philosophisch wird.

Über viele Gedankensprünge und Themenwechsel folgt zu später Stunde einmal mehr die Feststellung: Der Mensch ist ein kleines Rädchen. Ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe der Gesellschaft, das vielleicht nicht immer Lust hat, sich im Uhrzeigersinn zu drehen, aber weiß, dass es keinen Zweck hat, sich in die entgegengesetzte Richtung zu stemmen.

Dieser Idealismus aus meiner Kindheit... Die feste Überzeugung, dass - wenn nur jeder einen kleinen Teil beiträgt - das Gesicht der Welt verändert werden kann. Der Anblick eines Obdachlosen auf der Straße oder einer einsamen alten Frau auf der Parkbank konnte mir die Tränen in die Augen treiben und mich tagelang verfolgen. Und selbstverständlich war ich überzeugt, nur einen Beruf auszuüben, mit dem man den Gang der Dinge positiv beeinflussen kann - wenn auch nur im Detail.

Heute gehe ich an einem alten buckligen Mann vorbei, der mit ärmlicher Kleidung einsam an einem Restaurant-Tisch sitzt inmitten des jungen Treibens an der "Münchner Freiheit" und mit eingezogenem Kopf all seine Konzentration der Frikadelle auf seinem Teller widmet. Ich könnte auf der Stelle vor Mitleid in Tränen ausbrechen. Aber das geht nicht. Dieser Mann hat sein Leben, ich habe mein Leben. Ich gehe um die nächsten zwei Ecken und habe den alten Mann vergessen. Weil es unangenehm ist, über ihn nachzudenken. Über ihn und darüber, welche Rolle wir eigentlich spielen, welche Funktion jedes einzelne kleine Rädchen hat, das in dem großen Getriebe mehr oder weniger eifrig mitläuft.

Man wächst auf mit Werte- und Moralvorstellungen in dem Glauben, die Welt sei wunderbar. Man wächst heran und beginnt zu begreifen, dass der Schein trügt. Dass die Menschen dank all dem unschätzbaren Wissen, das über Jahrhunderte angehäuft wurde, zwar begreifen, dass sie sich zu Grunde richten. Dass ihre Art zu leben nicht die richtige - oder sagen wir perfekte - ist und dass sie auf dem besten Wege sind, sich einzureihen in eine der vielen großen Kulturen, die am Ende sich selbst zerstörten.

Der (reflektierte) Mensch weiß all das und ergreift einen Beruf, der im Idealfall etwas Freude bringt, mindestens aber das monatliche Einkommen sichert, er erfüllt sein Leben mit Dingen, die keine Nachhaltigkeit besitzen und fragt sich, worin eigentlich der Sinn besteht. Es muss doch in einer solch fortschrittlichen Kultur um mehr gehen, als ums nackte Überleben, als um fressen und gefressen werden.
Und dann setzt er Kinder in die Welt, erzieht sie mit den noch übrig gebliebenen Werte- und Moralvorstellungen und hofft, dass sie es einmal besser machen mögen.

Miss Whatever

"Das ist meine Weltanschauung, wer aber die gegenteilige hat kann weise sein, sagt der Weise. Das ist meine Weltanschauung, und wer eine andere hat ist ein Tor, sagt der Tor." (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, 1830 - 1916)

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