Samstag, 23. Dezember 2006

Nostalgie.

Mein Vater gibt mir seinen Autoschlüssel, aber ich lehne ab. Ich laufe lieber zu Fuß zum Supermarkt, so wie ich es früher immer getan habe, als ich noch keinen Führerschein hatte.

Im Garten schräg gegenüber recht die Nachbarin die letzten Laubreste zusammen. Ach, auch wieder im Lande, wie läuft das Studium? Ein Austausch weniger Belanglosigkeiten und das seltsame Gefühl, nicht mehr das Nachbarskind, sondern die fremde Heimkehrerin zu sein.

Ich laufe die Straße hinunter und nehme wie früher die Abkürzung über den Friedhof. Nach dem kurzen Innehalten am Grab meines Opas habe ich wieder diesen Geschmack von Eukalyptusbonbons im Mund, der unwiderruflich mit ihm verbunden ist.

Auf dem schmalen Weg den Hügel hinunter, vorbei an der Kirche, lausche ich in die winterliche Umgebung und höre... nichts. Nichts als einen einsamen Raben, der irgendwo in den Büschen vor sich hin schimpft.

Am Fuß des Hügels biege ich ab Richtung Dorfmitte. Da ist der alte Tante Emma Laden. Frau H. trägt zwei leere Gemüsekisten in den Schuppen, lacht und grüßt. Sie hat mir und J. früher immer gemischte Tüten Süßigkeiten für zwei Mark verkauft.

Die Metzgerei an der Kreuzung zur Hauptstraße, wo man früher von Herrn R. beim Einkauf immer ein Stück Wurst extra bekommen hat, hat einem Döner-Imbiss Platz gemacht. Die große Welt hat Einzug in das verschlafene Dorf gehalten.

Ein Stück weiter die Sporthalle, die mich an Volleyballtraining und muffige Umkleidekabinen erinnert. Und gegenüber liegt der große Festplatz verlassen, an dem man früher einmal im Jahr bei der großen Kirmes am Autoscooter aufgeregt auf den großen Schwarm gewartet hat. Heute trotzt hier nur ein kleiner Campingwagen dem eisigen Wind.

Mein Weg führt vorbei am Kindergarten, wo ich so oft meine Brüder abgeholt und nach Hause gebracht habe. Ich sehe die beiden noch genau vor mir mit ihren kleinen Rucksäcken, den frechen Gesichtern und den mit Farbe verschmierten Händchen.

Kurz bevor der Supermarkt hinter der Kurve erscheint, weckt das Gemeindehaus die prägensten Erinnerungen. Konfirmandenunterricht mit der Chaotentruppe, Kindergottesdienst mit aufmüpfigen Kleinen, Mitarbeiterschulungen, Treffpunkt für Abfahrten zu Jugendfreitzeiten. Es ist so unglaublich lange her...

Ich biege ein auf den Parkplatz des Supermarktes. Hupen, Gerenne, Geschiebe, Geschubse, Gemeckere, Flüche von Menschen auf der Jagd nach den letzten Weihnachtsgeschenken und den Zutaten für das perfekte Weihnachtsdinner. Eine alte Frau fährt mir ihren Einkaufswagen in die Kniekehle und befördert mich zurück in die Realität.

Schön war's hier.

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andi (Gast) - 24. Dez, 02:16

da kommt mir vieles sehr bekannt vor. besonders dieses jahr genieße ich jede sekunde zuhause.

jedenfalls wünsch ich dir ein nostalgisches, geruhsames und erfüllendes weihnachtsfest!

SanMiguel - 24. Dez, 16:59

Erinnerungen

Einmal mehr hast Du Gedanken klasse in Worte gefasst, die wohl viele von uns haben, wenn sie einfach so oder an besonderen Tagen nach Hause zurückkehren.

Danke, liebe Lisa, und Dir und Deiner Familie ebenfalls ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest!!

Jean Pütz (Gast) - 24. Dez, 17:13

Schöne Weihnachtstage


Die von Dir beschriebenen Erinnerungen, die an bestimmten Orten und Plätzen einfach wieder so lebendig ung gegenwärtig werden, kenn auch ich nur zu gut.
Selbst nach Jahren scheint vieles wie gestern. Und dennoch, die traurige Erkenntnis stellt sich ein: man ist nicht mehr Kind.

Es war eine schöne unbeschwerte Zeit damals, die ich sehr genossen habe. Vielleicht ist gerade darum mein Verhältnis zu Weihnachten, an dem einfach zu viele liebe Menschen am Tisch fehlen, ein so ambivalentes.

Wie dem auch sei:

Ich wünsche Dir, liebe Lisa, schöne Weihnachten und ein frohes Fest im Kreise Deiner Lieben :-)

Chia (Gast) - 25. Dez, 12:25

komisch...

...finde ich diese wehmut nach alten tagen.
ich finde dein bericht trägt ein bisschen was von " früher war alles anders - und eigentlich auch ein bisschen besser, da unbeschwerter".
das kann ich so wenig unterschreiben - klar komme alte erinnerungen hoch, aber sie zaubern mir ein lächeln aufs gesicht und lassen mich von mir selbst denken "man bist du groß geworden". super gefühl. und uns gehts doch klasse! was wollen wir mehr? wieder unmündiges kind sein, nur weil man da bonbons und wurst geschenkt bekommt? nee danke, ich nicht.
erinnerung an liebgewesenes muss nicht wehmütig sein.

Miss Whatever (Gast) - 25. Dez, 12:37

DU hast Recht. Erinnerungen an alte Tage müssen nicht wehmütig sein. Sie können einen auch zum Lachen bringen, verägern, befreien, erklären, wütend machen, können einen mit Liebe füllen, mit Zufriedenheit oder mit DIstanzierung oder was auch immer.
Bei meinem Spaziergang durch Dorf waren die durch die Erinnerungen hervorgerufenen Gefühle wohl von allem ein bisschen was - auch Wehmut. Ich bin halt ein sentimentales Weihnachtskind, da komm ich nicht aus meiner Haut ;o).

"Früher war alles besser" ist aber wirklich gelogen. Das seh ich genauso wie du. Früher war vieles anders und hatte auf eben auf andere Art und Weise (auch) sein Gutes. Nicht mehr und nicht weniger. Da gibt es übrigens auch ein nettes Lied von den Wise Guys drüber ;o).
waszum - 26. Dez, 13:24

Beiträge wie dieser...

... sind es, die mich überhaupt erst dazu gebracht haben, darüber nachzudenken, ob ich Blogs wirklich so wenig ausstehen kann, wie ich immer dachte.
... sind es, die mich am Ende dazu bewegt haben, selber meine Gedanken zu verfassen. Meine Gedanken, nicht meine Erlebnisse, wie mit den Rundschreiben.
... sind diejenigen, die ich selber durchaus hätte verfassen können, weil mir ähnliche Dinge passieren und sie offensichtlich auch ähnlich verarbeite.
... ähneln einzelnen bereits von mir verfassten, aber noch nicht veröffentlichten Gedanken so sehr, dass ich mal sehen muss, ob ich meinen jetzt überhaupt noch niederschreiben muss, soll oder will.
... sind dennoch wieder so verschieden von den eben genannten sehr ähnlichen Gedanken, dass ich mich frage, wie wir bei diesem so gleichen Thema bei der so gleichen Behandlungsweise doch tatsächlich noch so viele verschiedene Dinge ins Auge fassen können.

Ich bin nicht ganz sicher, was du machst, oder wie du es machst, aber das Resultat ist Mal um Mal das selbe: Faszination.

concierge (Gast) - 26. Dez, 19:09

Ja wundervoll, Lisa!

Das ist so ungefähr genau das, was ich jedesmal zu denken glaube, wenns mich wieder mal in die heimatlichen Gefilde zieht.

Da habe ich doch wieder diesen allweihnachtlichen Spaziergang mit meinen Eltern gemacht, einmal eineinhalb Stunden rund um das nahe Naturschutzgebiet. Früher habe ich sowas gehasst: immer bloß laufen, wie langweilig.
Heute habe ich es genossen, diese unendliche Ruhe, die Möglichkeit, auch in 15km Entfernung noch Bäume sehen zu können.
Auf dem Heimweg dann dauerte es fast doppelt so lange wie auf der Hinfahrt. Ich stelle fest, es sind immer noch die gleichen Trödler hier, über die du dich schon früher gerne mal aufgeregt hast, wenn du mal wieder wenig Zeit hattest.

Im Endeffekt ist es also schrecklich langweilig, ganz so wie zu Schulzeiten. Aber es ist wohl gerade das, was einen so einfängt, wenn man nicht jeden Tag da ist.

Miss Whatever

"Das ist meine Weltanschauung, wer aber die gegenteilige hat kann weise sein, sagt der Weise. Das ist meine Weltanschauung, und wer eine andere hat ist ein Tor, sagt der Tor." (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, 1830 - 1916)

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