Mittwoch, 29. November 2006

Fassungslos.

Zum ersten Mal in meinem Leben bin ich in der Öffentlichkeit Zeugin unglaublicher Nazi-Parolen geworden.

Auf dem Weg zum Bus mache ich gut gelaunt einen Abstecher in eine Bäckerei. Während meiner Bestellung tönt aus der Stehcafe-Ecke laut ein "Die sollen doch alle nach Hause gehen". Die drei Herren in Handwerker-Montur, alle im Alter von 50 bis 60, quittieren meinen bösen Blick. Das schert sie natürlich überhaupt nicht und es wird peinlich weiter gepöbelt.

Ein Mann, der endlich mal wieder Ordnung schafft, müsse her. Vielleicht nicht gerade Hitler, knurrt der eine, das wäre dann doch vielleicht zu hart. Aber so einer, der mal richtig durchgreifen würde. Mein bestellter Kaffee steht dampfend auf der Theke neben den drei Männern. Ich dampfe auch. Vor Wut. Mein Blick fängt die der beiden Verkaufsdamen, die mich peinlich berührt anlächeln. Und sich dann eifrig mit der Weihnachtsdekoration des Ladens beschäftigen.

Ich will meinen Kaffee nehmen und raus aus diesem Laden. Keine Lust, mich am frühen Morgen als junge Frau mit drei alten Haudegen anzulegen. Während ich aber krampfhaft versuche, meinen Ärger in den Griff zu bekommen, gewinnt der Pöbel erst richtig Fahrt. Raus sollten die, alle zusammen, raus aus Deutschland. Dahin, wo sie hergekommen seien. Die wollten ja sowieso alle nicht arbeiten. Dabei gäbe es hier doch Arbeit genug, fällt der zweite dem ersten ins Wort, die wollten ja bloß alle nicht. Genau, ereifert sich der dritte, in Konzentrationslager sollten die alle, da könnten sie dann arbeiten. Und zwar so richtig.

Mir platzt der Kragen. Ich greife meinen Kaffee und motze die Vollidioten Herren an, dass es unglaublich sei, was sie da von sich gäben und dass ich das überhaupt nicht in Ordnung fände.
Der Rädelsführer dreht sich zu mir um und mustert mich abschätzig. Ob ich Mädchen denn überhaupt schon mal Geld verdient hätte. Oh ja, drei Jahre lang, ob er es glaube oder nicht, schnaube ich. Darauf folgt ein wirres Geschwätz über Baustellen in Deutschland und die Franzosen, die über das Land herfallen, und...

Zwar hätte ich es von vornherein wissen müssen, aber mir wird in diesem Moment klar, dass diskutieren hier völlig fehl am Platz ist. Ich falle dem schimpfenden Kerl ins Wort, dass ich keine Lust hätte, mir sein Gerede anzuhören und dass er in Zukunft nachdenken solle, was er da so von sich gäbe. Ein fünfter Kunde an einem anderen Stehtisch nickt zu meinen Worten. Stumm. Ich stampfe aus dem Laden.

Als sich die Wut über die Männer und ihre Parolen gelegt hat, bleibt die Wut über mich selbst. Ich habe mit einer zickigen Aussage den Rückzug angetreten und die Parolenschreier ohne Gegenargumente ihrer Selbstherrlichkeit überlassen.

Und dann legt sich auch diese Wut allmählich Dank des Bewusstseins, wenigstens den Mund aufgemacht zu haben. Und klar gemacht zu haben:
Das ist euer Geschwätz. Nicht meins.
Der vierte Mann im Laden und die beiden Verkäuferinnen haben mit ihrem Schweigen Akzeptanz signalisiert. Eigentlich hätten auch sie einen Rüffel verdient.

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waszum - 29. Nov, 18:58

Geständnis...

Ich muss hiermit peinlichst kundtun, dass ich im Normalfall einer derer bin, der dann schweigt und einen Rüffel verdient hat. Ich habe mich zwar auch schon "gemausert", insoweit man das gelegentliche Aussprechen seiner Gedanken in derartigen Situationen so nennen kann, aber dennoch bin ich in der Summe nach wie vor ein Feigling. Gut, dass es Leute wie dich gibt.

DeDe - 29. Nov, 22:50

*Beifall* So macht man das! Nicht zu schweigen ist immer gut. Und solchen Leuten danach nicht weiter zu zuhören finde ich gerechtfertigt... auf Argumente hättest du ohnehin lange warten können. Ich hasse sowas auch, meine Geschichte mit den beiden schwarzen Mädchen und dem Alt-Nazi am Bus hab ich ja schon öfter erzählt.

es war wenigstens das bisschen heile-Welt-Gefühl für das gute Gewissen, sich dort eingemischt zu haben. Ansonsten wäre es mir auch zu schäbig mich da einzumischen. Die Wut schluckt man dann natürlich herunter...
Aber mal im Ernst: Steht man nicht allgemein etwas regungs- und ratlos vor dem Problem des forcierenden Radikalismus?

Michael (Gast) - 30. Nov, 00:40

Die Kurzfassung: Du hättest den Herren den dampfenden Kaffee überkippen sollen!

Ja, man merkt es schon: Ich bin es satt! Ich kann es nicht mehr hören, das rechtspopulistische Gelaber dieser Leute. Die selbe dämliche Logik. Hatte ja auch gutes, dieser Führer mit Schnurrbart. Autobahnen und Vollbeschäftigung, finanziert mit "Blut und Boden" unserer Nachbarländer.

Ein Vorschlag: Frag die lieben Herren doch beim nächsten Mal, ob ihnen die Ausländer lieber wären, wenn sie tatsächlich ordentliche Jobs hätten - die Antwort können wir uns denken, nicht? ("Die klauen uns alle Arbeitsplätze weg!).

Und es sind ja nicht nur die unbelehrbaren Altnazis: Plötzlich ist es wieder in, (ein bisschen?) rechts zu sein. Da schweigt die Bäckerstante, Passanten sehen weg. Die NPD sitzt im Landtag. Und plötzlich tauchen Nazifrisuren an der Universität auf (!). Ja, auf einmal kann man auf offener Straße sogar wieder "Sieg Heil!" rufen, und niemand scheint sich dran zu stören (genau so erlebt!).

Ich bin es satt - und so lange ich nicht mit einer prügelnden Übermacht an Neonazis konfrontiert werde, bin ich mir für keine Diskussion mit diesen mentalen Tieffliegern zu Schade. Mag sein, vielleicht beruhige ich damit nur mein eigenes Gewissen - aber ich will mir nicht eines Tages vorwerfen müssen, einfach weggesehen zu haben.

carrry (Gast) - 30. Nov, 14:01

richtig so, bloß nicht die klappe halten. ich bin in diese situation bisher noch nicht gekommen, und möchte mich nicht zuweit aus dem fenster lehnen und behaupten ich wäre nicht kommentarlos aus dem laden geflohen vor so viel dummheit. dank dieser sensibilisierung hier wird das wohl nicht passieren, sollten begegnungen dieser art noch kommen

@michael: sind 3mm Haare für dich schon ne nazi-frisur?
0700fabsen00 - 30. Nov, 19:32

Geil!

Ich wär gern dabei gewesen - Lisa peilt über den Kaffee wütenden Bauarbeiterpöbel an :D
Ich zitiere immer gern das nationale Forum sind ein paar geile dinger dabei.
Aber woanders siehts noch ganz anders aus - ein Freund von mir studiert in Greifswald - any questions?

concierge (Gast) - 2. Dez, 02:04

Eine der Städte Deutschlands mit der geringsten Arbeitslosenquote.

Eine der Städte Deutschlands mit der geringsten Ausländerquote.


...eine Stadt mit Hakenkreuzen im Bus, Thor Steinar in der Fußgängerzone, Lonsdale an Kopf und Brust, nächtlichen Gesängen aus den 30er Jahren in der Innenstadt, Glatzen im Cubiculum, Springerstiefel am Bahnhof und jüngst gedankliche Ausgüsse verfassungsfeindlicher Art - in einer Bäckerei.

Trier, I love you!

Verde (Gast) - 2. Dez, 02:47

ich finde das gut, daß du etwas gesagt hast. Verbal verliert man meistens gegen diese Kerle, weil sie eben saudumm sind und jedes Argument mit blöden Sprüchen vom Tisch fegen. Ärgere dich deswegen nicht.

beste grüße

wenzel

DeDe - 2. Dez, 14:11

Man kann nicht verbal gegen Nazis verlieren. Das ist nach den Gesetzen von Raum und Zeit schlicht unmöglich. Nazis verlieren schon durch Existenz.
zuljin (Gast) - 5. Jun, 10:15

lustig. also gegen die dummheit der welt anzukämpfen ist wie mit dem kopf durch eine wand zu wollen, auch nicht gerade schlau:). es ist besser sich mit den argumenten mal auseinanderzusetzen anstatt gleich nazi zu rufen, mit den richtigen gegenargumenten könntest du darüber lachen statt dich aufzuregen zu muessen:)

Miss Whatever

"Das ist meine Weltanschauung, wer aber die gegenteilige hat kann weise sein, sagt der Weise. Das ist meine Weltanschauung, und wer eine andere hat ist ein Tor, sagt der Tor." (Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach, 1830 - 1916)

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